vom Leserdienst der Web-Journale der skeptic line™ — "für dich gelesen":
Zbigniew
Herbert
geboren 29.10.1924 in Lwow (Lemberg) - gestorben
28.7.1998
in Warschau
Lyriker
/
Dramatiker / Essayist
|
Gedichtbeispiele:
Im paradies dauert die arbeitswoche dreißig stunden
die löhne sind höher die preise fallen ständig
die physische arbeit quält nicht (infolge kleinerer zugkraft)
das holzhacken macht so viel aus wie das maschinenschreiben
die staatsform ist haltbar und die regierung vernünftig
wahrhaftig im paradies ist es besser als irgendwo sonst
am anfang sollte es anders sein –
strahlende kreise chöre und stufen der abstraktion
aber den körper genau von der seele zu trennen
mißlang und sie kam hier an
mit einem tropfen fett mit einem faden muskel
man mußte beschlüsse fassen
das körnchen des absoluten mit dem körnchen lehm vermischen
noch eine abweichung mehr vom dogma die letzte
Johannes nur hat es vorausgesagt: ihr werdet wiederauferstehen im fleisch
Gott bekommen nur wenige zu gesicht
er existiert nur für die aus reinem pneuma
der rest hört nachrichten von den wundern und sintfluten
mit der zeit werden alle den Gott zu sehen bekommen
wann dieses wahr wird weiß niemand
vorerst am samstag zwölf uhr mittag
heult die sirene süß
und blaue proletarier kommen aus den fabriken
sie tragen unter dem arm ihre flügel linkisch wie geigen
Die klaue des frosts hat ans fenster geklopft
das auge öffnet sich zum garten
die bäume für die sinne unbeweglich
kreisen schnell im leichten glas
und nur die unvorsichtige klaue
erklärt mit entladenem rauhreif den flug
es gibt keine erde mehr keine klebrigen tatzen
die in den leichen den blumen scharren
hinter die wolke des schnees getragen
auf linien leichter gravitationen
und nur eine weile schwarze stämme
und nur ein ast so dumpf wie ein bass
erinnerten an die stimme der erde
bevor sie das feuer des frosts betäubte
aus rhomben dreiecken pyramiden
zum trotz – der ruhelosen linie
der haare durch die blut fließt
den seiden in unvernünftigen falten
dem grünen sarg für den falter –
aus rhomben dreiecken pyramiden
baute man wieder den klugen garten
mit einem diamanten knüpft die fläche das netz
er wird nicht mehr insekten rufen
zum festmahl des honigs und des gifts
den frost willkommen heißen wenn er dir den vögeln
mit geübten schnabel das herz herausnimmt
die spur wie nester zerbricht unterwegs
und über den fluß zu gehen befiehlt
dem schwarzen stamm dem schweren leib
entwächst ein zweig der weiße atem
damit das atom aller unserer träume
sich abermals mit der luft verbindet
Der kiesel ist als geschöpf
vollkommen
sich selber gleich
auf seine grenzen bedacht
genau erfüllt
vom steinernen sinn
mit einem geruch der an nichts erinnert
nichts verscheucht keinen wunsch erweckt
sein eifer und seine kühle
sind richtig und voller würde
ich spür einen schweren vorwurf
halt ich ihn in der hand
weil dann seinen edlen leib
die falsche wärme durchdringt
– kiesel lassen sich nicht zähmen
sie betrachten uns bis zum schluß
mit ruhigem sehr klarem auge
Herr Cogito meditiert über das Leid
Alle versuche
den sogenannten kelch der bitternis abzuwenden –
durch reflexion
besessenen einsatz zu gunsten der heimlosen katzen
durch tiefes atmen
durch religion –
enttäuschten
man muß sich fügen
den kopf sanft senken
nicht die hände ringen
sich maßvoll und ungezwungen des leids bedienen
wie einer prothese
ohne falsche scham
doch ebenso ohne überflüssigen hochmut
nicht mit dem stumpf
über den köpfen der anderen fuchteln
nicht mit dem weißen stock
an die fenster der satten klopfen
den sud dieser bitteren
kräuter trinken
doch nicht zur neige
vorsorglich ein paar schluck
für die zukunft lassen
annehmen
aber zugleich
innerlich absorbieren
wenn möglich
aus der materie des leids
ein ding oder eine person erschaffen
spielen
mit ihm
natürlich
spielen
spielen mit ihm
sehr behutsam
wie mit einem kinde
das krank ist
und das man am ende
mit albernen kunststücken
doch zu einem schwachen lächeln
zwingt
Zbigniew
Herbert
Herrn
Cogitos Vermächtnis
89 Gedichte
Aus dem Polnischen von
Karl Dedecius (Direktor des Deutschen Polen-Institutes), Oskar Jan Tauschinski, Klaus Stemmler
Suhrkamp Verlag
184 Seiten, gebunden, DM 38.-/öS 277.-/sFr. 35.-
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