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spuren der poesie
Michel Raus
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Liebesgedichte
werden nicht geschrieben.
Liebesgedichte
werden seit Vogelweide
weißem
Pergamentpapier eingeträumt.
Liebesgedichte werden ab Eschenbach
aus der Luft
herunter gedacht,
damit die Dichter uns
und sich nicht zu gestehen brauchen :
Liebe ist eh nur ein Fortpflanzungstrieb, der,
abgewürgt,
die Kriminalstatistik speist,
eine Technik, Kinder zu zeugen, die sich,
bei auch nur gleichbleibendem
Fortschritt in der höheren Biologie,
bald selbst überlebt und erledigt.
Die Liebesgedichtedichter
gehören ausgestopft,
können sich jedenfalls
Scham und Schande über
ihren Glauben an das Verdrängungspotential
Sprache glatt sparen.
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Tagebücher werden,
wie Kinder im Bett,
nächtens gemacht.
Tagebücher enthalten
aufgescheuchte Sekunden,
die beruhigt sein wollen,
und die stundenjungen Minuten,
in denen sich der wache Schreiber
vergisst, die
er aber nicht verloren geben will.
Tagebücher lügen sich
in die Tasche mit den Erinnerungen.
Tagebücher.
Worttränen, die nicht
gleich trocknen sollen
Selbstlustschreie mögen so schnell
eben nicht verhallen, und der
Tagebuchhalter
hebt sich gern einen Erzählapfel
auf
für den langen Marsch durch die Wüsten
der
Hoffnung auf die Brunnen
mit den Märchen, die nicht von
lebensechten
Vorlagen abgekupfert zu werden
brauchen.
Tagebücher, Bedeutungsblasen, Sinnballons
und Rückversicherungspolicen bei
Ausfall
der Verlegerhonorare.
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