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Anneliese Hager
geboren in Posen (Westpreußen) 11.2.1904

Gedichte aus
Anneliese Hager
Weiße Schatten, in:
Die rote Uhr und andere Dichtungen
Arche Verlag, Zürich 1991
  • Ausbildung zur Metallographin
  •   1920 erste Gedichte
  •   1924 Heirat mit Rudolf Brauckmeyer / 1943 Scheidung
  •   1927 Sohn Wulf
  •   1928 Tochter Helga
  •   1933 Übersiedlung nach Aachen
  •   1935 Tochter Waltrud (Uli)
  •   1937 erste Fotogramm-Experimente
  •   1941 mit Kindern nach Dresden
  • 1945 durch Bombenangriff aller Besitz und alle Fotogramme zerstört, Heirat mit dem Maler Karl Otto Götz / Scheidung 1965
  • 1947 Prosadichtung Die rote Uhr
  • 1951 Begegnungen mit Paul Celan
  • 1954 lernt in Paris André Breton kennen


  ... Spuren der Poesie
Ich war ...

Ich war ein Baum
und tauchte meine Blätter
in das Gespinst der grauen Wolke
und öffnete in ihrem Schatten
die Rinde die sich füllen sollte.

Ich war ein Haus
und hinter seinen Fenstern
webte ich mir ein Gewand
das in den weiten leeren Räumen
sich um die knisternden Gedanken wand.

Ich war ein See
der an umschäumten Klippen
sein Spiel trieb mit dem hellen Segel
um seine roten Masten schwirrten
in Scharen meine weißen Vögel.

Ich war ein Wind
der auf der weiten Steppe
zu jedem kleinen Grashalm spricht
und mit dem Donner seiner Schleppe
die Stille in den Lüften bricht.

Ich war ein Tier
und lag auf hartem Moose
ernährte mich von seinem Blut
ich trank des Nachts aus seinen roten Blüten
am Morgen labte mich des Himmels Glut.

Ich war ein Feuer
zwischen Stein und Sonne
und Asche fiel mir in die Hand –
sie war des Bettlers letzte Strophe
die er im Kehricht vor der Türe fand.

Ich war ein Tempel
in verrufener Straße
verborgen in der mattgestreiften Nacht
in der Gesellschaft meiner Träume
ist meine Stimme aufgewacht.

Sie ist das Flackern
in verwirrten Fragen
die als Gebete in den Himmel fliegen
und in der Ferne längst versunkner Zeiten
stumm auf verlassenen Altären liegen.

Ich war ein Spiegel
der aus Leidenschaften
mein Bild aufbaute und es dann verschlang
bis aus der Menge der Gesichte
nur eins im Innern widerklang.

Ich war ein Mädchen
das in seinen Händen
verlangende Gedanken trägt
und sie als Kelch der heiligen Legenden
stumm auf die Knospen seiner Brüste legt

^up
Der Tag ist tot

Ich wache auf und der Tag ist ein Netz.
Spinnen saugen mit stummer Lust
die Stunden der Frühe in ihren gefräßigen Blick –
meine Gedanken sind es –
ich sehe zu wie sie sterben –
ihre Flügel fallen und versinken im Staub.

Meine Gedanken sind es und der Tag steht auf.
Nebel verschlingt mit wortloser Gier
die Augen des Morgens und seinen klagenden Duft.
Ich sehe den Schrei des Blinden
der taumelnd aus den Wellen steigt und grau zerbricht.

Das Erwachen versinkt und die Stunde vergeht im Staub.
Nebelspinnen umklammern im roten Netz
die Augen der Frühe mit saugendem Blick –
meine Flügel sind es –
ich höre die blinden Wellen –
ihre Klage zerbricht im fallenden Morgen.
Der Tag ist tot.

^up
Gegenwart

In Eis gehüllte Trübsal strickt bleierne Knoten in den Wind.
Geh fort – die Körner auf meinem Feld sind zertreten –
meine Wünsche haben ihren Spiegel zermahlen und liegen
nackt unter hypnotischen Trommeln.
Der Augenblick zerbrach in offnen Grüften.
Komm zurück – und streiche das. Veto von meinen Lippen –
die Zeit ist ein hohler Baum – er schließt uns ein in seine Rinde.
Gift ist sein Blut – und Trost zugleich. Sekunden fallen auf sein
durstiges Geäder und Tage wachsen in verzweigtem Labyrinth.

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