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Hermann Burger
Burg/Schweiz (Aargau) 10.7.1942 - Brunegg/Schweiz (Aargau) 1.3.1989

Gedichte aus
Hermann Burger
Kirchberger Idyllen
Collection S.Fischer
Frankfurt a.M. 1980
  • Privatdozentozent für deutsche Literatur an der ETH Zürich und in Aarau
  • arbeitete u.a. über Paul Celan
  • Feuilletonredaktor
  • 1985 Ingeborg-Bachmann-Preis
  • am 1. März 1989 hat er sich selbst getötet
 
Koriphäen und Koniferen Zwei Koniferen, kegelförmig geschnitten, mit Spinnweb
....Über und über durchspannt, ecken nadelvermummt
Jakob Hunzikers Denkmal ein an der westlichen Mauer:
....Schwer der Stein aus Granit, glimmergrünlich getönt.
Biegt man die Zweige zur Seite, kommt der »Professor« zum Vorschein,
....Auch der »Doktor hil.«, abgebrochen das p.
Stumpf die einst golden glänzenden Lettern, sie haben den Friedhof-
....Grünspan angesetzt, Hunzikers Name bleibt tot.
Unten aber steht auf dem Gotthardsockel, er lebe
....In seinen Werken fort. Wer kennt noch etwas von ihm?
Wirkte an der Kantonsschule Aarau vier volle Jahrzehnte,
....Hatte den Doktor h. c. für seine Philologie.
Titel um Titel im Nadelgehölz der Friedhofbepflanzung:
....Schüler waren sein Werk, längst bestattet auch sie.
^up
Kranzdeponie Rasch verdorrt ist der Schmuck, den die Hinterbliebenen stiften:
....Kränze, gerömert, geschuppt, fleischig mit Blumen besteckt.
Zwygart schichtet zum Turm die Gebinde und fährt sie zur Mulde,
....Stück um Stück wird zerpflückt, Spruchschleifen flattern im Wind.
Kinder sammeln begeistert die abgefallenen Lettern,
....Lernen das Alphabet, legen Majuskeln in Gold.
^up
Silvesternacht Samba~Getöse im Sälchen, Girlanden aus Silberspiralen,
....Lachbonbons platzen im Rauch, Hufeisen zwingen das Glück.
Waldbeerenbowle »Silvester«; benetzt man den Finger mit Sekt und
....Reibt den kristallenen Rand, zittert ein Glasharfenton.
Blei wird erhitzt, unter magischen Formeln gegossen: im Wasser
....Schreckt das Metall zur Figur, Spreizmännchen deuten auf Tod.
Zapfenjaß; still baut einer für sich eine Kartenpagode,
....Altjahresscherze und Jux; wer kennt den Trick mit dem As?
Plötzlich – so hört doch! – im offenen Fenster das Branden der Glocken,
....Aarau, die Stadtkirche, Suhr, ringsher das Dröhnen im Tal.
Scheckig vermummt steht die Schar an der südlichen Schanze des Friedhofs,
....Massig im Scheinwerferlicht Langhaus und Käsbissenturm.
Schatten werfen und bannen, die Geister der Scheide verscheuchen!
....Dreht sich ein Stein in der Nacht? Kirche um Kirche verstummt.
Ruckende Stille, ein Schaltraum, minutenlos, zwischen den Jahren,
....Interregnum der Zeit, Äonsgrausen: die Frist.
Kirchberg setzt ein mit der ältesten Glocke, der Sancta Maria,
....Männiglich hat gezählt, starr auf die Zeiger geblickt;
Jubel, Erlösung, die Pfropfen, der Schaumwein, das Wünschen und Halsen,
....Jeder orakelt, was kommt. Bist noch einmal gerutscht,
Rübergerutscht über abzeittiefe Spalten und Klammen,
....Klammerst dich an den Spuk, winkend im Schattenballett.
Lichterflimmern und Glockengeläute, als wär nichts gewesen.
....Tauch in die bronzene Flut! Gestern, das Fest ist verjährt.
^up
Studierzimmer-Birke Vier verschiedene Zimmer standen zur Wahl: gegen Osten
....Friedhof- und Brunnensaal, beide mit Landkirchen-Sicht;
Westlich das hintere Gartenzimmer, wo die Clematis
....Fenster und Traufe umrankt, laubige Dämmernis herrscht;
Südlich die über dem Tal, den Sophoren gelegene Stube,
....Sie hab ich letztlich gewählt, zu meiner Werkstatt bestimmt,
Weil den vorderen Garten eine gewaltige Birke
....Ausfüllt; blick ich nach rechts, hab ich zum Nachbarn den Baum.
Baum, wie ich keinen jemals gesehn: er wächst bis zum Dachfirst,
....Greift mit den Ästen den Raum bis zum äußersten Rand,
Zirkt ein schattiges Waldrasenrund mit schleifenden Besen,
....Filigranes Geäst findet sich hier für die Kunst;
Zumal im Sturm gibt der borkige Riese ein packendes Schauspiel,
....Blätterwindhosen im Tanz, silbergrüner Zyklon.
Teile tagein, tagaus mit der Birke die Arbeit, ich habe
....In ihr Gezweig geschaut, Auswege suchend und Rat,
Hab sie in dürren Zeiten und guten befragt; ihre Antwort
....Lautete immer gleich: Nosce te ipsum, Poet!
^up
Diesseits und jenseits
der Mauer
Diesseits der Mauer darf gelten: wer lebt, der lebe, auf ewig!
....Jenseits: gestorben ist tot! Keiner kam jemals zurück.
Früher, da wurde auf Gottesäckern mitunter gekegelt,
....Heute hat Friedhofverbot, wer sich nicht ziemlich benimmt.
Vorschulpflichtige Kinder dürfen den Ort nicht betreten,
....Sind sie mal eingeschult, heißts auch bei ihnen: »Daheim.«
Nichtsdestotrotz hat man diesseits der Mauer zu Zeiten im Sommer
....Hart auf dem sandigen Platz neben der Kranzdeponie
Pétanque gespielt mit den handgroßen, bleischweren Kugeln aus Frankreich,
....Ab und zu auch ein Glas auf die Besimsung gestellt,
Zielend daneben geworfen und mit den Granaten das Wellblech
....Scheppernd zum Donnern gebracht, das auf den Spundbrettern lag.
Lasset die Toten in Frieden und haltet die Ruhe in Ehren!
....Ist es nicht vielmehr ein Schutz Hiesiger vor der Walhall?
Schmal nur der Auslauf, das schattige Feld zwischen Kirchhof und Pfarrhaus,
....Haben es leidlich genutzt, Kugel um Kugel erkämpft.
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