"Die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen
Deutschland"
Karl Kraus
"Psalmistin der deutschen Avantgarde"
Walter Mehring
"Ich kann Ihre
Gedichte nicht leiden, ich fühle bei ihnen nichts als Langeweile,..."
Franz Kafka
"..erinnert mehr an Tonbandaufnahmen als an Briefe.
Sie ist ein richtiger Germanistenschreck"
Erich Fried
"Else Lasker-Schülers Kunst ist sehr verwandt mit der Ihres
Freundes, des blauen Reiters Franz Marc.
Fabelhaft gefärbt sind alle ihre Gedanken und schleichen wie bunte Tiere. Zuweilen treten
sie aus dem Wald in die Lichtung: wie zarte rote Rehe.
Sie äsen ruhig und heben verwundert ihre Hälse, wenn jemand durchs Dickicht bricht. Sie
laufen nie davon.
Sie geben sich ganz Preis ihrer Körperlichkeit. Else Lasker-Schüler trägt ihr Herz an
einer goldenen Kette um den Hals. Sie ist ohne Scham: jeder darf es betrachten ..."
Klabund (1913) |
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2005
zu
ihrem 136. Geburtstagsfest |
Der schwarze
Schwan Israels
(Peter Hille)

"Dies war die größte Lyrikerin, die
Deutschland je hatte ... Ihre Themen waren jüdisch; ihre Phantasie orientalisch, aber
ihre Sprache war deutsch, ein üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch, eine Sprache reif und
süß, in jeder Wendung dem Kern des Schöpferischen entsprossen.
Immer unbeirrbar sie selbst, fantastisch sich selbst verschworen, feindlich allem Satten,
Sicheren, Netten, vermochte sie in dieser Sprache ihre leidenschaftlichen Gefühle
auszudrücken, ohne das Geheimnisvolle zu entschleiern und zu vergeben, das ihr Wesen
war."
Gottfried Benn, ihr Geliebter |
Diese Seite ist zu
Ehren unserer Prinzen-Prinzessin gemacht und will keine anderen Seiten
konkurrenzieren. Wenn wir von anderen Textteile und Bilder übernommen
haben, dann nur zur Verlängerung des Ehrenbandes; wir beanspruchen weder
Authentizität noch Originalität, sondern singen mit im Fanchor, wir
kümmern uns weniger um Spielregeln als um Leidenschaften ...
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Links. |
Die besten Links:
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- Vater: Aron Schüler, ehemals Reisender,
später Privatbankier
- Mutter: Janette Schüler-Kissing, Tochter
eines Weinhändlers
- Else dichtete sich ihre eigene Biogaphie:
ihr Vater sei Architekt gewesen und habe kühne Aussichtstürme rund um Elberfeld gebaut,
so kühn, daß die braven Elberfelder immer Angst hatten, die Türme könnten bei Sturm
zusammenbrechen. Den Grossvater erhob Elses Dichtung in der Figur des Rabbuni zum
Grossrabiner.
Die Schülers zogen später in das gut- bis großbürgerliche Haus an der Sadowastraße 7.
Dort erlebte Else eine behauste Kindheit. Sie dichtete, von ihrem Vaterhaus könnte man
den Rhein sehen. Kann man aber nicht.
- 1880 Besuch des Lyceum West An der Aue
schwere Erkrankung ("Veitstanz"), danach kein Schulbesuch mehr, Unterricht durch
Hauslehrer
- 1890 Die geliebte Mutter stirbt
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- 1894-1903 verheiratet mit dem Arzt Dr. Jonathan Berthold Lasker
(dem Bruder des Schachweltmeisters Emanuel Lasker)
- 1894 Übersiedlung nach Berlin
- Für Arbeiten als Malerin und Zeichnerin wird im Berliner Tiergarten ein Atelier
gemietet; später werden zahlreiche Einzel- und Buchpublikationen mit Zeichnungen, auch
handkolorierten Illustrationen versehen.
- 1897 Tod des Vaters
- 1898/99 Begegnung mit Peter Hille und
seinem Kreis - "Die Kommenden" und in der "Neuen Gemeinschaft"
Lesungen und Künstlerfreundschaften
- Erste Gedichtveröffentlichungen 1899 in "Die
Gesellschaft".
- 15.1.1899 Geburt des Sohnes Paul (Else nannte als Vater einen Griechen
Alkibiades de Rouan, dann auch einen spanischen Prinzen, sie sei ihm auf der Straße
begegnet...)
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- 1902 Der 1. Gedichtband »Styx«
erscheint bei Axel Juncker in Berlin
- März 1903 Trennung von Peter Hille
11.4.1903 Scheidung von Berthold Lasker
m September 1903 gedruckte Anzeige: "Herwarth Walden/Else Walden (Else
Lasker-Schüler) Vermählte"
- 1902 Der 2. Gedichtband »Der
siebente Tag« im Verlag für Kunst Berlin
- 1903-1912 verheiratet mit Georg Levin, alias
Herwart Walden, späterer Herausgeber der Expressionistenzeitschrift «Der
Sturm».
Sie lebten, wie man sagt, von der Hand in den Mund. Sie hausten in Hotelzimmern, in Berlin
zumeist im Hotel Koschel (Sachsenhof), Motzstraße am Nollendorfplatz, und ärmlichen
Dachstuben, die Künstler Berlins trafen sich im Café des Westens, die Berliner nannten
es "Café Größenwahn"
Auch die Ehe mit Walden war nur von kurzer Dauer. In ihren Beziehungen zu Menschen war sie
unstet, leicht kränkbar, himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt.
So wie sie lebt, so schreibt sie: Unstet. Mal brillant und mal formal mies. Sie kann sich
nicht stundenlang an den Schreibtisch setzen und stur ein Metrum abklopfen. Etwas fliegt
ihr zu, es ist da. Dennoch: Deshalb hat sie einige der besten Gedichte geschrieben, die in
deutscher Sprache verfaßt wurden.
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- 1909 schreibt sie, wie sie behauptet, in einer einzigen Nacht das Schauspiel "Die
Wupper". Sie schildert ihre Kindheitserlebnisse, die Welt in Wuppertal, ein bunter,
beklemmender Bilderbogen.
- Zahlreiche Veröffentlichungen von Gedichten und Prosa in "Der Sturm",
"Die Aktion", "Das Neue Pathos", "Saturn", "Die Weißen
Blätter", "Neue Jugend" u. a. Zeitschriften des Expressionismus, von 1909
bis 1911 auch in Karl Krauß´ "Die Fackel".
- 1911 Es erscheinen »Die Briefe nach Norwegen«
- 1912 lernt sie Dr. Gottfried Benn kennen
- 1913 Der Essayband »Gesichte« erscheint,
Begegnung mit Franz Marc, Franz Werfel ...
- 1913 In Berlin erscheinen die »Hebräischen Balladen«
- November 1913 Reise nach Rußland, besucht den Anarchisten
Senna Hoy (Johannes Holzmann) im Gefängnis und bemüht sich vergeblich um seine
Freilassung - er stirbt im April 1914:
Seit
du begraben liegst auf dem Hügel,
Ist die Erde süß |
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- 1914 Der Gedichtband »Meine Wunder« wird veröffentlicht
Begegnung mit Georg Trakel, den Brüdern Wieland Herzfelde / John
Heartfield und George Grosz
- Lesungen in Berlin (u. a. im "Neopathetischen Kabarett" 1910, bei
Autorenabenden der "Neuen Jugend" 1917), vielfache Vortragsreisen u. a. nach
München, Wien, Prag, Köln, Zürich.
- 1917 Der Band "Gesammelte Gedichte" erscheint
Teilnahme an der DADA-Premiere in Zürich
- 27. 4. 1919 Uraufführung der "Wupper" im Deutschen Theater Berlin. Während
der Weimarer Republik druckt vor allem das "Berliner Tageblatt" ihre Arbeiten.
- 1921 Die Erzählung »Der Wunderrabbiner von Barcelona« wird publiziert
- 1924 Reise in die Schweiz und nach Venedig
- 1927 Tod des Sohnes Paul am 14.Dezember
- 1932 »Konzert« und »Arthur Aronymus« erscheinen
- 1932 Kleist-Preis (zusammen mit Richard
Billinger)
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- 19. 4. 1933 Flucht in die Schweiz (Zürich), von wo sie schrieb:
"Ich war hier voll Traurigkeit, wirklich voll Schmerz. Ich bin voll Trauer. Wie
schön und unbekümmert war's doch in Elberfeld vor 1001 Jahren."
- März bis Mai 1934 erste Palästinareise
- Erste Veröffentlichungen in den Exilblättern "Die Sammlung" (Amsterdam),
"Pariser Tageszeitung", "Der deutsche Schriftsteller" (Paris), später
im "Orient" (Haifa), und in "Neue Zürcher Zeitung" und "Basler
Nachrichten"
- 19. 12. 1936 Uraufführung von "Arthur Aronymus und seine Väter" im Zürcher
Schauspielhaus
- Juni bis August 1937 zweite Palästinareise
- 1937 Die Arbeit »Das Hebräerland« erscheint
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Ausbürgerung 1938:
Geheime
Staatspolizei
Berlin SW 11, den 14.Juli 1938.
Geheimes Staatspolizeiamt
Prinz-Albrecht-Str. 8
An den Reichsführer SS
und Chef der Deutschen Polizei
im Reichsministerium des Innern
Referat S-PP (II B9)
in Berlin
Betrifft:Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit der jüdischen Emigrantin
Else Lasker geb. Schüler gesch. Levin,11.2.1869 in Wuppertal-Elberfeld geboren, letzter
inl. Wohnsitz: Berlin, Motzstr. 78, jetziger Aufenthalt: Zürich.
Vorgang: Ohne.
Anlagen: 3 Durchschriften
Die jüdische Emigrantin Else Lasker besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie war
die typische Vertreterin der in der Nachkriegszeit in Erscheinung getretenen
»emanzipierten Frauen«. Durch Vorträge und Schriften versuchte sie, den seelischen und
moralischen Wert der deutschen Frau verächtlich zu machen.
Nach der Machtergreifung flüchtete sie nach Zürich und brachte dort ihre
deutschfeindliche Einstellung durch Verbreitung von Greuelmärchen zum Ausdruck. Ihre
schriftstellerische Tätigkeit setzte sie fort und veröffentlichte Artikel in dem
berüchtigten deutschfeindlichen »Pariser Tageblatt«. Ferner gab sie Schriften in dem
deutschfeindlichen Verlage »Oprecht« in Zürich, dessen gesamte Produktion auf der Liste
des schändlichen und unerwünschten Schrifttums steht, heraus.
Ich beantrage daher, der Jüdin Else Lasker die deutsche Staatsangehörigkeit
abzuerkennen. Eine Vermögensbeschlagnahme und Verfallerklärung erübrigen sich, da
Vermögenswerte im Inlande nicht festgestellt werden konnten.
Eine Erstreckung der Ausbürgerung auf Familienangehörige kommt nicht in Betracht, da die
Lasker, die 2 mal verheiratet war, von ihrem letzten Ehemann rechtskräftig im April 1913
geschieden worden ist. Der aus der Ehe hervorgegangene Sohn Paul Lasker, 24.8.99 in Berlin
geboren, ist bereits im September 1923 nach Wien verzogen. Nachteiliges über ihn ist
nicht bekannt geworden.
Im Auftrage:
gez. Keller |
- April 1939 dritte Palästinareise; da, wegen Ausbruch des Krieges,
Wiedereinreise-Visum von der Schweiz verweigert, endgültiger Aufenthalt in
Palästina

- Januar 1942 Gründung des "Kraal" mit Lesungen und Vorträgen in Jerusalem
- 1943 Der letzte Gedichtband »Das blaue Klavier« wird
verlegt
- 1945 Else stirbt am 22.Januar nach einem schweren Herzanfall,
am Ölberg zu Jerusalem begraben
Heinz Gerling, Zeitzeuge (im Gespräch mit Hajo Hahn 1994):
"Natürlich hat sie Hitler und das Hitlerregime gehaßt. Deutschland und ihre
Heimat aber hat sie geliebt. An einem Tage, als ich nicht im Büro war und zurückkam, war
sie dagewesen und hatte mir einen Zettel dagelassen":
"Ich möchte nicht, daß Wuppertal
bombardiert wird." |
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Dichtung ist
Wahrheit Für Else war das Verhältnis von
Dichtung und Wahrheit nie ein Problem. Ihre Dichtung war Wahrheit, ihre Wahrheit war
Dichtung. Sie hatte ein außerordentliche Bedürfnis nach phantastischer
Umformung, nach Kaschierung von Bereichen der privaten Sphäre. So gab sie sich Namen, die
ihre Außenseiterposition betonten: Räuber, Vagabund, der über die Bürger lacht,
Herumtreiber. Die Existenz als Frau in der bürgerlichen Gesellschaft lehnte sie rigoros
ab. Äußerlich demonstrierte sie das durch das Tragen von Hosen und bunten Gewändern,
durch kurzgeschnittenes Haar. Sie stellte sich dar als Prinzessin Tino von Bagdad,
später als Jussuf, Prinz von Theben, der sein Reich anders regiert als
die weltlichen Potentaten, und versuchte auf diese Art, Realitäten und Beziehungen, die
Gegenwelt, nach der sie verlangte, anschaulich werden zu lassen.
Dieser Gestalt ihrer Phantasie passte sie selbst ihre eigene Identität an. Sie ließ sich
ihre Haare kurz schneiden, für die damalige Zeit eine Sensation, trug weite Hosen
orientalischen Zuschnitts, dazu klimpernde Ketten und Armreife, sowie Fußglocken. Auf der
Straße blieben die Leute stehen, um dieser schillernden Person nachzusehen und
nachzutuscheln.
Auch ihre Freunde nahm sie in diese Welt auf. Sie entwickelte ein Reich mit fließenden
Grenzen, ein Reich ihrer Träume. Hier hielt sie Hof. Hier ernannte sie Fürsten und
Hohepriester, schlug Freunde zu Rittern und kämpfte ihren eigenen Kampf und den für in
Not geratene Freunde. |

Jussuf , eine Art Selbstportrait...
um 1916:
«...der einzige männliche Lyriker von heute» (Karl Kraus),
«...der schwarze Schwan Israels, eine Sappho, der die Welt entzwei gegangen ist» (Peter
Hille) |
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... bis zum Lebensende
Quellenangabe:
Howard Weiss (Chicago) und Wolfgang Schmidt (Wuppertal)
Links: http://members.aol.com/woheisch/letzte.htm
(deutsch)
http://members.aol.com/woheisch/letzte2.htm
(englisch)
Else Lasker Schüler gestaltete sich auch ihre letzen Lebensjahre in Jerusalem
phantastisch, was ihr natürlich auch Schwierigkeiten mit der "äusseren
Realität" brachte. Ihr Umgang mit dem Geld etwa entsprach nicht dem, was der
vernünftige, sparsame Bürger für klug zu halten pflegt. Nein, nein, sie starb
nicht in völliger Armut, wie so gerne kolportiert worden ist. Sie erhielt Mittel aus dem
Solidaritätswerk der Einwanderer aus Mitteleuropa und von dem reichen Kaufmann und
Kunstmäzen Salman Schocken. Damit hätten einfacher gewickelte israelische Bürger
bestimmt viele Jahre zu leben gewusst.
Aber Else gab ihre Rente für Talmi-Schmuck aus. Das war für sie der Kronschmuck Jussufs.
Sie kaufte Dinge, die ihr momentan wichtig erschienen, ohne zu überlegen, wovon sie am
nächsten Tag leben würde. So beschenkte sie Kinder und Bettler, speiste in guten
Restaurants und verfütterte teuer erworbene Lebensmittel an die wildlebenden Vögel.
Dabei war ihr Vorratsschrank leer. Sie besaß nicht einmal ein Bett, schlief in einem
Liegestuhl, ihre Koffer packte sie nicht aus. Sie wurde auch jetzt nie seßhaft.
Die beschränkter empfindenden Biographen sagen dazu: "Sie hatte einfach keinen Bezug
zum Geld." - Ihr Bezug war ein anderer, nicht ein der Diktatur der langweilig
vernünftigen Lebensläufe verschriebener.
Obwohl nun alt und grau geworden, nur mehr gebückt gehend, pflegte sie weiterhin ihr
exzentrisches Auftreten, ihre Liebe zu Tüchern, Federn und Tand, nebst einer Neigung zur
Unsauberkeit. Damit erregte sie auch hier Aufsehen und Gespött. Man hielt sie in ihrer
Nachbarschaft einfach für verrückt - war sie auch: ver-rückt phantastisch.
Auch im Alter hielt sie sich an keine gesellschaftlichen Konventionen. An Yom Kippur, wenn
die jüdische Welt steng fastet, verzehrte sie in der Synagoge seelig ihre Schokolade.
Personen, die sie daraufhin ansprachen, entgegnete sie grob: "Stören sie meine
Andacht nicht!". Ihren Rabbiner nannte sie »unseren Pastor«, eine Zumutung für
jeden gläubigen Juden. Ein andermal ging sie zu ihrem Rabbiner und fragte ihn: "Hier
sind wir ja unter uns, glauben Sie an Gott?".
Sie war oft grob und böse, auch gegenüber ihr wohlgesonnten Personen. Ungewöhnliche
Auftritte entschuldigte man aber mit ihrem Alter, dabei gestand sie Bekannten nachher:
"Das habe ich mit Absicht gemacht."
Der Liebe entsagte sie selbst im hohen Alter nicht. So verliebte sie sich in einen um
viele Jahre jüngeren und verheirateten Mann. Sie schrieb ihm glühende Liebesbriefe, und
oft wartete sie stundenlang vor seinem Haus- alles nur um einen kurzen Blick auf ihren
Angebeteten zu werfen.
Doch sie wurde immer schwächer und kränklicher. Erste Todesahnungen befielen sie:
"Mit mir geht es zu Ende, ich kann nicht mehr lieben."
Am 22.01.1945 stirbt die Prinz-Prinzessin Jussuf, und mit ihr das Königreich von
Theben. |
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An mich Meine Dichtungen, deklamiert, verstimmen
die Klaviatür meines Herzens. Wenn es noch Kinder wären, die auf meinen Reimen tastend
meinetwegen klimperten. (Bitte nicht weitersagen!) Ich sitze noch heute sitzengeblieben,
auf der untersten Bank der Schulklasse, wie einst ... Doch mit spätem versunkenem Herzen:
1000 und 2-jährig, dem Märchen über den Kopf gewachsen.
Ich schweife umher! Mein Kopf fliegt fort wie ein Vogel, liebe
Mutter. Meine Freiheit soll mir niemand rauben, sterb ich am Wegrand wo, liebe
Mutter, kommst du und trägst mich hinauf zum blauen Himmel. Ich weiß, dich rührte mein
einsames Schweben und das spielende Ticktack meines und meines teuren Kindes Herzen. |
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aus dem Essay-Band
"Gesichte": |
Meine
Kinderzeit Nach der Schule trafen wir uns auf der Wiese und legten dort mühsam Balken
quer übereinander. Zwei meiner Spielgefährten setzten sich auf das eine Ende der
Schaukel. Willy Himmel und ich aber bestiegen das lange Steckenpferd hoch in der Luft. Die
beiden gegenüber flogen dann plötzlich jauchzend in die Höhe, immer wieder, wenn wir
zwei, der Willy und ich, Rücken an Rücken gelehnt, den Balken mit unseren kleinen
Körpergewichten herabdrückten. Sanken dann wie durch unsere eigenen Hüllen in das Gras
des Sommers übergrünt hinein; immer wie ein warmer Faden zog's durch unsere Leiber. Wenn
wir genug von diesem Spiel hatten, streckten wir alle die Zungen heraus, wer die längste
habe, Walter Kaufmann beteiligte sich sehr überlegen an solchem »Unsinn«! Er war
gelehrt, las die »Mappe« und wollte Professor werden. Und Pülle Kaufmann hatte immer
eine belegte Zunge, aß seine Suppe nie, denn er lutschte viel Süßholz. Aber oft
streckte er seine Zunge schwarz aus dem Mund; das kam vom Lakritz. Willy Himmel aber hatte
ein rosiges Zünglein wie ein Engelchen, auch blickte ich neugierig oft in seine goldenen
Augen, die waren garnicht angestrichen wie die meinen und die der anderen Jungens.
In der Früh fielen vom Birnbaum eines fremden Gartens mächtige Birnen herunter in
unsere kleine Gasse, in Schülers Gasse. Manchmal schlich ich leise auf bloßen Füßen
über die Treppe durch den Hausflur an zwei Amoren vorbei und sammelte die dicken Birnen
in mein Nachtkittelchen. Einmal traf ich den Pülle, dem ich im Vertrauen von unserer
Schlaraffenlandgasse erzählt hatte. Der Pülle Kaufmann trug heute keine Watte in den
Ohren wie sonst; er war nämlich auch... |