Else Lasker-Schüler (3)

Gedichte aus: "Der siebente Tag"
(Verlag für Kunst Berlin, Amelangsche Buchhandlung, 1905)

Inhalt

<  ... Spuren der Poesie

up ^
Mein Liebeslied

Wie ein heimlicher Brunnen
Murmelt mein Blut,
Immer von dir, immer von mir.

Unter dem taumelnden Mond
Tanzen meine nackten, suchenden Träume,
Nachtwandelnde Kinder,
Leise über düstere Hecken.

O, deine Lippen sind sonnig...
Diese Rauschedüfte deiner Lippen...
Und aus blauen Dolden silberumringt
Lächelst du ... du, du.

Immer das schlängelnde Geriesel
Auf meiner Haut
Über die Schulter hinweg -
Ich lausche ...

Wie ein heimlicher Brunnen
Murmelt mein Blut.

up^
dem Hans Ehrenbaum-Degele Eva

Du hast deinen Kopf tief über mich gesenkt,
Deinen Kopf mit den goldenen Lenzhaaren,
Und deine Lippen sind von rosiger Seidenweichheit,
Wie die Blüten der Bäume Edens waren.

Und die keimende Liebe ist meine Seele.
O, meine Seele ist das vertriebene Sehnen,
Du zitterst vor Ahnungen
Und weißt nicht, warum deine Träume stöhnen.

Immer liege ich auf deinem Leben,
Eine tausendstämmige Erinnerung.
Und du bist so blutjung, so adamjung…
Du hast deinen Kopf tief über mich gesenkt –.

up ^
Weltende

Es ist ein Weinen in der Welt,
als ob der liebe Gott gestorben wär,
und der bleiernde Schatten, der niederfällt,
lastet grabesschwer.

Komm, wir wollen uns näher verbergen ...
das Leben liegt in aller Herzen
wie in Särgen.

Du! wir wollen uns tief küssen -
es pocht eine Sehnsucht an die Welt
an der wir sterben müssen.

für Herwarth Walden (H.W. Wilhelm von Kevlaar zur Erinnerung an viele Jahre)
up^
Wir drei

Unsere Seelen hingen an den Morgenträumen
Wie die Herzkirschen,
Wie lachendes Blut an den Bäumen.

Kinder waren unsere Seelen,
Als sie mit den Leben spielten,
Wie die Märchen sich erzählen.

Und von weißen Azaleen
Sangen die Spätsommerhimmel
Über uns im Südwindwehen.

Und ein Kuß und ein Glauben
Waren unsere Seelen eins,
Wie drei Tauben.

up^
Ruth

Und du suchst mich vor den Hecken.
Ich höre deine Schritte seufzen
Und meine Augen sind schwere dunkle Tropfen.

In meiner Seele blühen süß deine Blicke
Und füllen sich,
Wenn meine Augen in den Schlaf wandeln.

Am Brunnen meiner Heimat
Steht ein Engel,
Der singt das Lied meiner Liebe,
Der singt das Lied Ruths.

Der Leila: Lucie von Goldschmidt-Rothschild
up^
Meinem geliebten Sohn Paul Mein Volk

Der Fels wird morsch,
Dem ich entspringe
Und meine Gotteslieder singe...
Jäh stürz ich vom Weg
Und riesele ganz in mir
Fernab, allein über Klagegestein
Dem Meer zu.

Hab mich so abgeströmt
Von meines Blutes
Mostvergorenheit.
Und immer, immer noch der Widerhall
In mir,
Wenn schauerlich gen Ost
Das morsche Felsgebein,
Mein Volk,
Zu Gott schreit.

up^
Mein stilles Lied

Mein Herz ist eine traurige Zeit,
Die tonlos tickt.

meine Mutter hatte goldene Flügel,
Die keine Welt fanden.

Horcht, mich sucht meine Mutter,
Lichte sind ihre Finger und ihre Fuße wandernede Träume.

Und süße Wetter mit blauen Wehen
Wärmen meine Schlummer

Immer in den Nächten,
Deren Tage meiner Mutter Krone tragen.

Und ich trinke aus dem Monde stillen Wein,
Wenn die Nacht einsam kommt.

meine Lieder trugen des Sommers Bläue
Und kehrten düster heim.

Verhöhntet habt ihr mir meine Lippe
Und redet mit ihr.

Doch ich griff nach euren Händen,
Denn meine Liebe ist ein Kind und wollte spielen.

Einen nahm ich von euch und den zweiten
Und küßte ihn,

Aber meine Blicke bleiben rückwärts gerichtet
Meiner Seele zu.

Arm bin ich geworden
An eurer bettlenden Wohltat.

Und wußte nichts von Kranksein,
Und bin krank von euch,

Und nichts ist diebischer als Kränke,
Sie bricht dem Leben die Füße,

Stiehlt dem Grabweg das Licht,
Und verleumdet den Tod.

Aber mein Auge
Ist der Gipfel der Zeit,

Sein Leuchten küßt
Gottes Saum.

Und ich will euch noch mehr sagen,
Bevor es finster wird zwischen uns.

Bist du der Jüngste von euch,
So solltest du mein Ältestes wissen.

Auf deiner Seele werden es fortan
Alle Welten spielen.

Und die Nacht wird es wehklagen
Dem Tag.

Ich bin der Hieroglyph,
Der unter der Schöpfung steht.

Und ich artete mich nach euch,
Der Sehnsucht nach dem Menschen wegen.

Ich riß die ewigen Blicke von meinen Augen,
Das siegende Licht von meinen Lippen -

Weißt du einen schweren Gefangenen,
Einen böseren Zauberer, denn ich.

Und meine Arme, die sich heben wollen,
Sinken...

1. Fassung (1905)
up^
2. Fassung (1911) Mein stilles Lied

Mein Herz ist eine traurige Zeit,
Die tonlos tickt.

meine Mutter hatte goldene Flügel,
Die keine Welt fanden.

Horcht, mich sucht meine Mutter,
Lichte sind ihre Finger und ihre Fuße wandernede Träume.

Und süße Wetter mit blauen Wehen
Wärmen meine Schlummer

Immer in den Nächten,
Deren Tage meiner Mutter Krone tragen.

Und ich trinke aus dem Monde stillen Wein,
Wenn die Nacht einsam kommt.

meine Lieder trugen des Sommers Bläue
Und kehrten düster heim.

- Ihr verhöhntet meine Lippe
Und redet mit ihr. -

Doch ich griff nach euren Händen,
Denn meine Liebe ist ein Kind und wollte spielen.

Und ich artete mich nach euch,
Weil ich mich nach dem Menschen sehnte.

Arm bin ich geworden
An eurer bettelnden Wohltat.

Und das Meer wird ein wehklagen
Gott.

Ich bin der Hieroglyph,
Der unter der Schöpfung steht

Und mein Auge
Ist der Gipfel der Zeit;

Sein Leuchten küßt Gottes Saum.

up^

<  Spuren der Poesie