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Isolde Schaad

Robinson und Julia
Und kein Liebestod

Limmat Verlag, 2010 / Gebunden / 361 S. / Gattung: Roman / Preis: CHF 39.50 ISBN: 978-3-85791-600-7

Autorin

Isolde Schaad, geboren 1944 in Schaffhausen, lebt als freie Schriftstellerin und Publizistin in Zürich. Zahlreiche Studienaufenthalte in Ostafrika, Nahost, Indien. Gastautorin einer amerikanischen Universität. Ihr Werk wurde mehrfach ausgezeichnet. Im Limmat Verlag sind zuletzt erschienen: der Roman «Keiner wars» und «Vom Einen. Literatur und Geschlecht. Elf Porträts aus der Gefahrenzone».

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Isolde Schaad: Hinein- und herausgelesen.

In der Neuen Zürcher Zeitung (8.4.10) schreibt Roman Bucheli so über Robinson und Julia von Isolde Schaad, dass man meinen könnte, der Autorin gehe es vor allem um Lustigkeit. Für mich lädt dieser Roman jedoch zu einem gar nicht immer so leichten Tanz. Es liegt hier ein Text vor, der mit einer gewissen Dringlichkeit und Lust wohl eher gesprochen als geschrieben gelten will und gegen Kommerz und fundamentalistische Bedrohungen – oder bereits Zensur? – gerichtet sein könnte. Mit wachem Gehör wird auf Wort-Bilder und deren Folgen, ja sogar auf Kommentare von Kommentaren und Exegesen von immer wieder behaupteten und negierten Schöpfungen angespielt. Der Text scheint insgeheim der Künstlerin, dem Künstler in uns gewidmet,  oder Roland Barthes, dessen Fragments d’un discours amoureux ihm ohne weiteres hätten Pate stehen können. Am anregendsten ist für mich dieses Buch, wo es neben einem fröhlich frechen Sarkasmus auch um gelebte Affekte und Affinitäten geht, so in den vielen – ohne weiteres für die Bühne bearbeitbaren –  Szenen, wo man die mitmenschliche Realität der vor Witz sprühenden Autorin spürt, das heisst: die der Schreibenden als Teil einer Wohngemeinschaft (und sei es in imaginierten Szenen mit Beauvoir oder Sartre etwa), eine eher subjektive, emische Seite also, nicht die etische, sich objektiv gebende Aussensicht.* Vielleicht, dass nicht Judith Butler mit ihrer Frage „Warum immer nur zwei?“ die Quintessenz des Romans ausdrückt, sondern die subtil und indirekt aufgeworfene Frage: „Kann ich, kann jede/r von uns, in oder mit einem offenen Dreieck leben?“ Oder: „Ist Zärtlichkeit als Ausdruck der Freiheit in einem standardisierenden globalen Kontext möglich?“ Diese Bemerkungen sind einige wenige der (wohl eher spekulativen) Lesefrüchte, für die ich der Autorin sehr dankbar bin. Ich wünsche nur, sie möge wagen, ihr ureigenes Thema vielleicht mal etwas ernster zu nehmen. Ganz besonders dankbar bin ich, wie so oft, für Dinge, die ich nicht auf Anhieb verstehe, wie etwa die Worte der „Gastgeberin“, die auf Seite 329 sagt: „Häl turiidu kubän shäiin?“ Der Leser schliesst, dass es  „Möchtest Du ein Glas Tee?“ bedeutet und lebt selber auf. Ich kann nicht umhin, dabei an eine Szene im Antonioni-Film „Il deserto rosso“ zu denken (1964), wo eine (die) Frau (Monica Vitti?) in einer unglaublichen, kaum noch für möglich gehaltenen Geste der Zuwendung einem (dem) Mann ein Glas Wasser anbietet. Eine Urszene der Zärtlichkeit als Subtext?  (Er dürfte hier natürlich nicht als gender-fixiert aufgefasst werden.) Eine geheime Bildmagie, die gelegentlich der Sprachmagie der Bibel entsprechen mag, aber ohne deren narratives Kalkül und drohende Prophetie auskommt?

 * Die Unterscheidung emisch/etisch geht auf den Linguisten und Anthropologen Kenneth L. Pike, 1964, zurück; sie wurde für viele soziologische und ethnologische Untersuchungen relevant.
Emisch bedeutet „mit den Augen eines Insiders“ einer Kultur oder eines Systems und bezeichnet eine Beschreibung, die in erster Linie aus Sicht eines Teilnehmers der untersuchten Kultur richtig ist.
Eine
etische Betrachtung ist dagegen die eines „Beobachters von außen“; eine etische Beschreibung knüpft an das Wissen und Vokabular des Beobachters an.

Rolf A. Leemann