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Wenn die Seele vom Körper spricht

im Hinblick auf leibseelisches Geschehen ist uns die Perspektive, in der wir von körperlichen Befindlichkeiten ausgehend nach ursächlichen psychischen Belastungen fragen, wohl vertraut. Die umgekehrte Blickrichtung ist nicht zwar nicht neu, aber weniger ausgeleuchtet. Wir ziehen sofort in Betracht, dass schwere körperliche Beeinträchtigungen, dauernde Schmerzen, Schwächezustände u.dgl., psychische Folgen, wie Ängste und Depressionen, nach sich ziehen und sich schlimmstenfalls gar in psychosomatisch-somatopsychischen Wechselwirkungen in einem verhängnisvollen Teufelskreis aufschaukeln können. Aber im Großen und Ganzen ist uns die somatopsychische Perspektive ganz einfach schon darum weniger selbstverständlich, weil die psychosomatischen Zusammenhänge real gesehen bei weitem überwiegen.

Ein Buch von James Morrison, "Der zweite Blick", Psychische Störungen als Symptome somatischer Krankheiten", befasst sich speziell mit psychischen Störungen, welche, nicht immer aber in bestimmten Fällen, als Symptome körperlicher Erkrankungen in Betracht gezogen werden müssen. Der erste Teil des Buches gibt einen Überblick über die Symptome und eine Anleitung zur Gestaltung von Erstinterview und Anamnese. Im zweiten, umfangreichsten Teil werden 60 körperliche Störungen dargestellt, welche Arzt und Patient veranlassen, psychotherapeutische Diagnostik und Hilfe beizuziehen. Im dritten Teil werden die besprochenen Symptome nochmals übersichtlich zusammengefasst.

Wenn man sich mit den aufgeführten Störungen näher befasst, muss man wohl zum Schluss kommen, dass die Frage, ob ein psychisches Phänomen nun als Symptom einer körperlichen Störung zu betrachten sei oder ob es sich um eine schwer zu entwirrende Wechselwirkung handle oder gar um den umgekehrten Sachverhalt, niemals zum Vornherein eindeutig postuliert werden sollte, sondern in einer mehrdimensionalen psychologischen und somatischen Abklärung, welche Vieles in Betracht zieht, eruiert werden muss. Das Buch kann dem Praktiker helfen, den diagnostischen Blick nicht nur zu schärfen, sondern auch auszuweiten. Es ist in diesem Sinne nicht nur dem Arzt, sondern auch dem Psychotherapeuten und Praktikern der verwandten Berufe zu empfehlen. Denn der geschulte Blick über die Grenzen der psychotherapeutischen Fragestellungen hinaus kann manchmal sogar lebensrettend sein.

James Morrison: "Der zweite Blick"
Psychische Störungen als Symptome somatischer Krankheiten",
aus dem Englischen übersetzt vonm Matthias Reiss.
Bern u.a. 2000, Verlag Hans Huber, 264 Seiten, Kt sFr. 44.80 / DM 49.80 /öS 364.--
ISBN 3-456-83422-5