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Franz Werfel
Prag 10.9.1890 - Berverly Hills 26.8.1945


  • aus einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie in Prag
  •  kam früh mit den Dichtern des Prager Kreises, wie Franz Kafka und Max Brod, in Berührung
  •  1912 - 1914 Verlagslektor bei Kurt Wolff in Leipzig
  •  begründete 1913 mit Kurt Pinthus und Walter Hasenclever die Sammlung Der jüngste Tag
  •  Werfel trat selbst als Verfasser expressionistischer Lyrik hervor, die Einflüsse Rilkes und Hofmannsthals erkennen ließ (Der Weltfreund, 1911; Wir sind, 1913; Einander, 1915).
  • 1915 - 1917 nahm er am 1. Weltkrieg teil
    anschließend freier Schriftsteller in Wien
  •  frühe dramatische Versuche (Der Besuch aus dem Elysium, 1912; Der Spiegelmensch, 1920; Bocksgesang, 1921) ohne nennenswerte Resonanz
  •  Bedeutung erlangte Werfel als Erzähler:
  •  historische und biographische Sujets
  •  Spannungsfeld jüdischer und christlicher Glaubenstradition, Mystik: der Auftrag des Menschen ist, den göttlichen Funken in sich und er übrigen Schöpfung zu befreien
  •  1929 heiratete er Alma Mahler
  •  1933 Machtübernahme der Nationalsozialisten:
  •  Ausschluß aus der Preußischen Akademie der Dichtung
  •  Exil:
    1938 Frankreich
    1940 Flucht in die USA,
    wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte
  •  Der Roman Das Lied von Bernadette (1941)
    war auch in den USA ein Erfolg
    1943 verfilmt
  •  verschiedenen hochrangigen Erzählungen,
    wie Eine blaßblaue Frauenhandschrift (1941)
  •  sein bedeutendstes Werk Die vierzig Tage des Musa Dagh (1933), in dem er den Genozid der Türken an der armenischen Bevölkerung schilderte
  •  1944 Komödie Jacobowsky und der Oberst
    1958 mit Curd Jürgens und Danny Kaye verfilmt
  •  starb am 26. August 1945 in Beverly Hills (Kalifornien).
Mit Ausnahme des ersten Gedichtes,
aus
Franz Werfel
Wir sind.
Neue Gedichte
Kurt Wolf Verlag,
Leipzig 1913

So, jetzt will ich mich vor die Türe
setzen und das Leben genießen
Walt Whitman in seiner Sterbestunde

 

Kindheit

Einmal, einmal,
Wir waren rein.
Saßen lein auf einem Feldstein
Mit vielen lieben alten Fraun.
Wir waren ein Indenhimmelschaun,
Ein kleiner Wind im Wind
Vor einem Friedhof, wo die Toten leicht sind.
Sahen auf ein halbzerstürztes Tor,
Hummel tönte durch Hagedorn,
Der Grillen-Abend trat groß ins Ohr.
Ein Mädchen flocht einen weißen Kranz,
Da fühlten wir Tod und einen süßen Schmerz,
Unsere Augen wurden ganz blau...
Wir waren auf der Erde und in Gottes Herz.
Unsre Stimme sang noch ohne Geschlecht,
Unser Leib war rein und recht,
Schlaf trug uns durch grünen Gang,
Wir ruhten auf Liebe, heiligem Geflecht,
Die Zeit war wie Jenseits, wandelnd und lang.

 


Lesbierinnen

Wenn abends Heimkehr endlos durch die Gassen geht,
Erhebt ihr euch von eurem täglichen Gerät.
Zwei süße Näherinnen, noch vom Radgesang umspühlt
Jetzt wandelt ihr, von Wind und Müdigkeit gekühlt.

Entfacht daheim, ihr Kinder, euren Samowar
Und löst das leichte luftverspielte Haar!
Wie ruht der kleine Mond- und Lampenkreis
Auf Wand und Boden eures Zimmers weiß?

Nun gebt den Glanz der langen Glieder frei,
Umschlingt euch langsam, haltet euch ihr Zwei
Und zu des Himmels nachverebbtem Strahl
Schweb' eurer Küsse schwärmerische Zahl!

Für andre zieht nach Arbeits Fluch und Pein
Ein Abend blaß und voller Armut ein.
Wenn alle an zerwalkten Tischen stehn,
Euch ist bereitet Schönheit und Vergehn.

Nun geht im Haus der biedere Verräter um,
Die Nachbarinnen sind euch höhnisch stumm.
Doch ist auf jeder Lippe Tod und Rache da,
(Ha, der verruchten Küsse angeklagte Kette!)
Schlaft ein,
Schlaft ein in eurem Bette!
Dem tausendfachen Geist der Liebe seid ihr nah.

 


Der Sonntag-Abend

Ha! Noch habe ich diesen Stern nicht verlassen!
Noch umfängt mich süß untätiges Leid.
Doch eh' mich Bestimmung der Seele
Flutet aufs morgige Gestirn,
Fließe ich noch durch die lange Welt-Nacht,
Flattre ich noch mit den Abgeschiedenen
Durch unerwachte Forste und Wiesen.
Süße sinken durch mich
Des Verlassenen weinende Bilder.
Eh' die ersten Stürme schmettern,
Eh' die fremden Strahlen fallen,
Eh' im bitteren Arm das furchtbare M o r g e n mich hält.

^up


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